Wieso tickt „meine“ Lerngruppe so wie sie tickt? – Teil 1
Die Schulen haben wieder geöffnet – im „Regelbetrieb“. Nun, vieles ist sicherlich anders, aber eines das bleibt wohl immer: die mysteriösen Dynamiken innerhalb einer Gruppe. Das Rangdynamikmodell des Psychotherapeuten, -analytikers und Psychiaters Raoul Schindler (1923 – 1914) ist eine von vielen hilfreichen Hintergrundfolien, auf die sich eine Gruppe „legen“ lässt, um die Machtdynamik innerhalb der Gruppe besser zu verstehen. Denn nur wer eine Gruppe versteht, kann begründet intervenieren.
Raoul Schindler identifiziert folgende Rollen: „Alpha“, „Beta“, „Gamma“, „Omega“ und „G“.
„G“ steht für die Gruppenaufgabe, für das gegebene Ziel der Gruppe. Es kann aber auch das Gegenüber oder aber auch die GegnerIn der Gruppe sein. „G“ ist zwar nicht Teil der Gruppe, steht also außerhalb der Gruppe, die Gruppe bezieht sich jedoch auf das „G“. Sie braucht das „G“, um eine Identität auszubilden, was durch die Auseinandersetzung mit „G“ geschieht, denn die Aufgabe, das Ziel, welches durch „G“ vertreten wird, ist nicht unbedingt das Thema der Gruppe.
Denn das bekannte Thema der Gruppe, also das Thema, mit dem sich die Gruppe gerade beschäftigt, wird durch „Alpha“ repräsentiert. Die Person, die die „Alpha“-Rolle einnimmt, hat die Aufgaben, sich zum einen aktiv für das Gruppenthema einzusetzen und zum anderen damit auch die Gruppe nach außen zu vertreten – also auch gegenüber „G“. Dabei lassen sich drei verschiedene „Alphas“ mit jeweils unterschiedlichen Qualitäten unterscheiden:
Denn das bekannte Thema der Gruppe, also das Thema, mit dem sich die Gruppe gerade beschäftigt, wird durch „Alpha“ repräsentiert. Die Person, die die „Alpha“-Rolle einnimmt, hat die Aufgaben, sich zum einen aktiv für das Gruppenthema einzusetzen und zum anderen damit auch die Gruppe nach außen zu vertreten – also auch gegenüber „G“. Dabei lassen sich drei verschiedene „Alphas“ mit jeweils unterschiedlichen Qualitäten unterscheiden:
Das gruppenorientierte „Alpha“ steht im Dienst der Gruppe und verfolgt deren Interesse.
Das narzisstische „Alpha“ hingegen verführt die Gruppe, den eigenen Interessen zu folgen.
Das heroische „Alpha“ fällt durch ein ausgeprägtes Imponiergehabe auf.
Und wie wird man zum „Alpha“? Nun die „Gammas“ machen jemandem zum Alpha. Sie wählen einen „Alpha“, mit dem Gedanken, dass diese Person am besten ihre Themen vertreten kann. Die „Gammas“ arbeiten dem „Alpha“ zu, sie stimmen „Alpha“ zu und bestärken „Alpha“ in seinem Vorhaben, imitieren „Alpha“ unter Umständen sogar. Sie haben dabei keinen Anspruch auf eine Führungsrolle.
Keine Gruppe ohne „Omega“ – die Gegenposition zu „Alpha“. „Omega“ vertritt Themen, die in der Gruppe noch nicht dran sind. Es ist eine Art Seismograph und kann kommende Themen antizipieren. Die wichtigsten Aufgaben von „Omega“ sind zum einen frühzeitig Probleme aufzuzeigen und zum anderen sich kritisch dazu zu äußern. Von der Gruppe wird „Omega“ meist nicht als wichtig, sondern eher als störend empfunden. Dementsprechend hat „Omega“ einen nicht so einfachen Stand in der Gruppe. Auch deshalb, weil es die Führungsposition des „Alpha“ permanent zu bedrohen scheint.
Das querulante „Omega“ ruft mit seinem heroischen Auftreten zur Umkehr auf.
Das ängstliche und zögerliche „Omega“ versucht Veränderungen und Themen der Gruppe auszubremsen
Das schalkhafte „Omega“ versucht durch Witz in der Gruppe zu bleiben.
„Beta“ repräsentiert die Rolle des fachlichen Experten. Es steht sowohl „Alpha“ nah als auch den „Gammas“. Es beobachtet die Gruppe, kommentiert häufig das, was in der Gruppe geschieht. Zudem nimmt auch „Beta“ Kontakt zu Bezugspersonen außerhalb der Gruppe auf. Anders als die „Omega“-Position wird das Gesagte aber in der Regel wohlwollend von der Gruppe akzeptiert. Dies liegt an der Nähe zu „Alpha“.
So und was können wir nun mit dem Rangdynamikmodell machen? In der Regel ist uns das „G“ bekannt, vielleicht sind wir sogar Rollenträger bzw. Rollenträgerin von „G“. Wenn wir nun Alpha identifizieren können, dann haben wir einen Eindruck, womit die Gruppe gerade beschäftigt ist. Das hilft uns vielleicht zu verstehen, warum das „G“ die Gruppe vielleicht im Widerstand erlebt. Es hilft uns vielleicht auch zu verstehen, mit wem wir kommunizieren müssen, um das Thema von „G“ zu platzieren. Wir können Omega identifizieren und bekommen eine Idee, welche Themen künftig aufploppen werden. Vielleicht haben wir es auch mit einer Gruppe zu tun, die sich schwertut, die Rollen zu verteilen. Es finden keine Wahlen für ein Alpha statt, kein Gruppenmitglied will in die Führungsposition gehen. Was passiert? Die Gruppe ist sehr mit sich beschäftigt, damit, einen „Alpha“ zu verhindern. Für Themen, die „G“ einbringt gibt es kaum oder keinen Raum… Und so weiter… Und last but not least. Das Rangdynamikmodell ist nur ein Modell von vielen – eine Brille, mit der man auf Gruppe schauen kann. In Kombination mit anderen Modellen ergibt sich ein breites Diagnostikwerkzeug Gruppen wahrzunehmen, Hypothesen daraus abzuleiten und Interventionsmöglichkeiten zu eruieren, um eine Wahl zu treffen und letztlich dann begründet zu intervenieren… Das täglich Brot eines jeden, der mit Gruppen zu tun hat.
Literatur:
- Gellert, Manfred: Lebendige Soziometrie in Gruppen und Organisationen. In: Bosselmann, R.; Lüffe-Leonhardt, E.; Gellert, M. (Hrsg.): Variationen des Psychodramas. Ein Praxishandbuch – nicht nur für Psychodramatiker. 3. Aufl., Meezen: Limmer Verlag, 2006, S. 346 – 364.
- Gellert, Manfred; Nowak, Claus: Teamarbeit – Teamentwicklung – Teamberatung. Ein Praxisbuch für die Arbeit in und mit Teams. 5. Aufl. Meezen: Limmer Verlag, 2014.
- König, Oliver; Schattenhofer, Karl: Einführung in die Gruppendynamik. 7. Aufl. Heidelberg: Carl-Auer, 2015.
- Schindler, Raoul: Das Verhältnis von Soziometrie und Rangordnungsdynamik. In: Heigl-Evers, A.: Gruppendynamik. Göttingen: Vandenhoeck & Camp; Ruprecht 1973, S. 30 – 36.
- Stadler, Christian; Kern, Sabine: Psychodrama. Eine Einführung. Wiesbaden: Springer Verlag, 2010.